Rüdi erhebt sich langsam und fast feierlich. Er nimmt sein Mikro in die Hand und sagt mit fester, lauter und klarer Stimme: „Es beginnen die letzten beiden Spielminuten in der Regionalliga für die Löwen Frankfurt…..“
Korrekt, die große Anzeigetafel hinter dem Tor zeigt 58 gespielte Minuten an und die Zahlenfolge leuchtet 4 : 2 für das Heimteam und verdeutlicht Little Storchi´s famous last words sehr eindrucksvoll.
Eine Woche zuvor sah das Ganze noch nicht so prickelnd aus, denn das Auswärtsspiel beim Underdog der Qualirunde in Netphen sollte anders verlaufen, als wir selbsternannten Experten das alles so furchtbar schön und akkurat geplant hatten.
Ich bin an diesem Freitag schon recht früh im Siegerland angekommen, hatte nach einem beruflichen Termin in Gießen direkt den Weg über die A45 ins beschauliche Städtchen mit dem Zelt über der Eisfläche gewählt. Zum 3. Mal sitze ich nun in dieser Saison im hübschen Bistro der Netphener. Dieses ist schon fest in Frankfurter Hand, wie die vielen bunten Trikots der Fans beweisen. Ich zerlege gerade ein Schnitzel, als der Bus der Löwen vorfährt und unsere Jungs sich ihren Weg durch ein Spalier der mitgereisten Supporter bahnen müssen.
Coach Jaufmann kommt auch ins Bistro, begrüßt mich wie immer herzlich und setzt sich zu einem Kaffee zu mir. „Kabin Katastroph…“sagt er „nich viel großer als Gästklo“…fügt er stirnrunzelnd hinzu und schüttelt seinen Kopf etwas ungehalten. „…Hehehe…in Novosibirsk habt Ihr Euch früher hinterm Zamboni umgezogen“ kontere ich ihn lachend und erinnere ihn wieder einmal „très charmant“ und mit einem dicken Augenzwinkern an seine Herkunft und sportliche Vergangenheit.
Ich wünsche ihm und dem Team viel Glück und er geht zur Vorbereitung rüber in den kleinen Trakt der Gäste.
Das Spiel beginnt so, wie wir es alle erwartet haben, die schnelle Führung durch unseren fliegenden Holländer sollte eigentlich beruhigend wirken. Aber Nein…irgendwie ist heute der berühmte Wurm drin, die Netphener wirken spritziger, motivierter, engagierter und immer einen Schritt schneller. Bald liegen die Löwen zurück, den Rhythmus haben sie auch noch lange danach nicht gefunden. In den Drittelpausen spüre ich die Unzufriedenheit der Jungs, als sie an uns hastig vorbei laufen. Gesenkte Köpfe, hängende Ohren….die Körpersprache spricht eindeutige negative Bände. Sie wissen alle, was gerade schief läuft, finden aber den sprichwörtlichen Schalter nicht, um ihn umzudrehen.
Wir verlieren dieses Spiel mehr als überraschend, der fest einplante Dreier in meiner Schulbuben-Kalkulation kommt also heute Abend nicht auf die Habenseite. Ich fahre etwas nachdenklich und in Gedanken verloren zurück gen Frankfurt, woran mich heute noch ein hübsches Foto der grünen Freunde aus der Tempo-30-Zone um die Sportanlage erinnert! Schade….mit Cherno´s Kreditkarte hätte ich das später - wie einst der gute Rüdi bei Tripcke´s DEL in Köln - nicht selbst erledigen müssen…
Am Sonntag beim direkten Rückspiel sind die Jungs wieder hellwach, nach anfänglichen Unsicherheiten und Startschwierigkeiten, die wohl noch der Freitagsniederlage geschuldet sind, fegen die Löwen den heute etwas dezimierten Kader der Netphener förmlich vom Eis und nehmen furchtbare zweistellige Rache für die so empfundene Schmach 48 Stunden zuvor.
Somit haben die Löwen nach den ersten 4 Spielen schon 8 Punkte auf dem Konto und stehen in der Tabelle sogar sensationell auf dem ersten Platz ihrer Gruppe. Damit ist aber auch klar, dass uns schon der nächste Spieltag den „Show-down“ bescheren könnte. Ein einziger Punkt - und dieser ist immerhin aus eigener Kraft erreichbar - würde uns bei optimalem Spielverlauf den sicheren Aufstieg in die Oberliga bringen.
Die Presse und die übrige Frankfurter Medienwelt weiß das dann auch genauso zu berichten, so dass unser Heimspiel gegen die Hamma Gäste am Freitag nochmals die Zuschauer mehr als zahlreich in die schmucke Halle locken wird.
Weit über 4.000 Begeisterte sind es erneut, die voller Spannung ihre Jungs auf dem letzten großen Schritt begleiten wollen. Die stimmliche Unterstützung ist wieder hervorragend, die Vorfreude auf die „Party danach“, die Feier zum Erreichen des Saisonziels ist riesengroß und in jeder einzelnen Sekunde spürbar, die unsere Stadionuhr runter läuft.
Die Hamma noch-nicht-wieder-Eisbären sind durch die deftige Hinspielklatsche gewarnt und laufen uns dieses Mal nicht ins offene Messer. Sie versuchen einige gezielte Nadelstiche zu setzen und den klassentieferen Gegner aus einer kontrollierten Defensive zu kontern.
Trotzdem sind die Löwen einfach das bessere, engagiertere, heißere Team, dem man ansieht, dass ihm selbst der nur noch notwendige eine Punkt zu wenig in den Klauen wäre. Nach gut 53 Minuten erlahmt die Gegenwehr der Hamma Gäste, Simon Barg ist an allen Toren beteiligt, auch das 4. und entscheidende legt er wunderbar für Tim Bornhausen auf, der eiskalt im Stile eines Goalgetters dem guten Keeper aus Westfalen keine Chance lässt. Wir stehen alle die letzten beiden Spielminuten, klatschen uns die Hände wund, Doro reißt bei jeder Spielunterbrechung die Arme hoch und dirigiert mit seiner Riesen(torwart)kelle wie einst Herbert von Karamalz die Berliner Philharmoniker, denn das Klassenziel ist erreicht!!! Die letzten 10 Sekunden zählen alle im Rund lauthals mit und auch als bei gespielten 19.54 Minuten die Uhr nochmals wegen eines Icings angehalten werden muss, brüllt der ganze Saal verlangend „Sex, Sex, Sex…..“???....hehehe…..!!!
Als die Schlusssirene ertönt, stürzen alle Spieler wieder einmal und wie schon so oft in den letzten Wochen auf ihren tollen Torwart zu, der in vielen engen Spielen - und nicht nur heute - oft den Unterschied zu den anderen, nicht viel schlechteren Teams ausmachte.
Knapp 7 Monate nach dem Neustart eines No-name-Teams, mit wenigen finanziellen Mitteln, in der tiefsten Depression nach der Stunde Null für das Frankfurt Eishockey und seiner Fans, steigt die „Mannschaft der Herzen“ in die unterste Profiliga in Deutschland wieder auf.
Mit viel Herzblut, totaler Hingabe, heißer Leidenschaft und von der Euphorie des Umfelds getragen, sind 31 Jungs und ihr Coach zu „local heroes“ geworden und nehmen verdient ihre Plätze in der „Hall-of-fame“ des mainischen Pucksports ein……aber noch viel wichtiger….in der Erinnerung unzähliger Herzen der kleinen und großen Fans wird es für immer das emotionalste Jahr der Löwen-Geschichte bleiben….The year of the cat!
( - letzte Fortsetzung folgt - )
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