Staunend stehe ich am 10.10.2010 auf dem Vorplatz vor der noch geschlossenen Halle. Reibe mir verwundert die Augen, überlege ob außer dem Eishockey heute noch eine weitere Veranstaltung um den Ratswegkreisel stattfindet. Vielleicht gastiert ja wieder einmal ein Zirkus in der Stadt, eine Erotik-Messe bietet aufblasbare Ware feil, der multikulturelle Flohmarkt lässt Raucherherzen bei dem Gedanken an billige polnische, vom LKW gefallene Zigaretten höher schlagen oder der ballverliebte FSV spielt endlich auch einmal vor einer sozialverträglichen Kulisse.
Nein…..nichts dergleichen, die wollen tatsächlich alle zum Eishockey, die neuen Löwen sehen, unsere Jungs unterstützen, ein Zeichen an und für die Sportstadt Frankfurt setzen. Am Bratwurststand, der doch heute mehr an meinen rustikalen Kugelgrill im heimischen Garten erinnert, treffen wir alle Freunde und jeder von uns ist total überrascht und mehr als freudig erstaunt ob der weiterhin so zahlreich einfallenden Massen.
Drinnen dann ein großes „Hallo“ mit alten Kumpels, die die Schreckensherrschaft des Herrn S. weggesteckt haben und dem heutigen Event positiv entgegen fiebern. Ja…“Ereignis“… es ist ein Ereignis, ein Spektakel, eine Demonstration, eine sportive Kundgebung für den Pucksport in unserer hessischen Metropole. Wir beziehen unsere gebuchten Dauerkartenplätze, treffen zum ersten Mal auf neue Sitznachbarn, die Steher direkt hinter uns sind bereits von netten Menschen besetzt, die uns freundlich grüßen und deren Gesichter in erwartungsfroher Spannung sind. Selbst der Riese vom Ordnungsdienst grüßt ausgesprochen freundlich als er die Karten kontrolliert, die Regionalliga lässt den Menschen wohl die Zeit, sich wieder einmal auf das Mindestmaß an angewandter Höflichkeit im Miteinander zu besinnen…..was ich „Etikettepapst“ wiederum mit Wohlfühlfaktor 10 registriere.
Rüdiger betritt das Eis, was schon einen ersten frenetischen Jubel zur Folge hat, erklärt, begrüßt, erläutert, beschreibt das nun Kommende. Als er jedoch mit der Bemerkung endet, dass das Spiel - wegen des enormen Zuschauerandrangs - mindestens eine halbe Stunde später beginnen müsse, entfährt mir ein leiser Fluch: „Ach, du Sch….nicht bei der Euphorie!!“
Aber „NEIN“….die Menge tobt, klatscht, johlt vor lauter Begeisterung ob der Verzögerung, solidarisiert sich mit den Wartenden in den immer noch Endlosschlangen an den Kassen.
Wie mögen unsere Boys jetzt - direkt unter uns in den Katakomben – fühlen? Aufgeregt, motiviert bis in die Haarspitzen, verschüchtert oder gar ängstlich?? Ich weiß es nicht, will in dem Augenblick mit ihnen nicht unbedingt und wirklich tauschen….ich würde mir, so denke ich nun plastisch, vor Aufregung fast in die Boxershorts…..na ja….
Als das Team dann mit fast 45 Minuten Verzögerung vorgestellt wird, schreie ich jeden Namen mit….habe ja in der Woche fast jeden Abend die richtigen Familiennamen zum jeweiligen Vornamen geübt, was ich eigentlich seit meiner sehr vokabellastigen Schulzeit nicht mehr machen musste und wollte.
Nach 3:52 Minuten kracht unsere Nr. 16 mit voller Wucht und ungebremst gegen die Bande hinter dem Gästetor, rutscht an dieser wieder langsam herunter und bevor er das gefrorene Nass wieder berührt, wird er von seinen heran stürzenden Teamkollegen eingefangen und sofort unter sich begraben…..
Unser erstes Toooooor……das „Starting Goal“ der neuen Ära…unserer Löwen Frankfurt!!!!
Wir toben nun wie die Verrückten, umarmen uns, klatschen uns alle ab, als ob gerade im finalen 5. Spiel der Play-offs in der Overtime der entscheidende Treffer für unser Team gefallen wäre. Keiner ist sich nunmehr fremd, der kollektive Wahnsinn unterscheidet nicht Neu und Alt, Senior und Junior, Mann oder Frau…..WIR alle sind Eishockey-Löwen!!!
Jetzt würde ich gerne für Sekunden in Michael Schwarzer´s Gefühlswelt blicken, wissen was in dem Jungen – den alle wohl nur „Blacky“ nennen – so gerade vorgeht. Vielleicht so ein unbeschreibliches Feeling wie Weihnachten, Ostern und Orgasmus gleichzeitig?? Monate später wird er mir die damals gestellte Frage mit einem smarten und für mich wenig charmanten „….die ersten beiden Dinge sind bei dir wohl eher öfters“ sehr spitzbübisch und dabei frech grinsend beantworten….. so gewinnt man eben „Freunde für Leben“!
Noch weitere 6 Mal geraten wir an diesem Abend in selige Verzückung, aber jedes Tor und sein Schütze wird genauso gefeiert und genossen, wie das erste Heimspiel-Tor der noch jungen Löwengeschichte bei exakt 3:52.
Als das Team zur Ehrenrunde aufs Eis gebeten und gefordert wird, sieht man den jungen Gesichtern die Erleichterung, die unbändige Freude, aber auch noch das Unfassbare des Abends an. Ihr Auftritt ist nicht gekünstelt oder sogar gestellt, wie es uns lange Jahre von unterkühlten Profis vorgeheuchelt wurde, sie alle genießen das Bad in der Menge, das Momentum, dass sie in ihrem weiteren Leben niemals mehr vergessen oder gar verdrängen werden. Selbst ein weitgereister Fahrensmann wie Daniel Körber schaut oft etwas ungläubig ins Rund der wohl über 5.000 Puck-Verrückten, als ob er sich gerade in einem wundervollen, märchenhaften, niemals enden wollenden Eishockey-Traum befindet.
Als wir Fans leichtfüßig, euphorisiert und fast schwebend die Eishalle verlassen, muss ich an einen meiner absoluten Lieblingsfilme mit der ollen Streisand denken…..A star is born!
(Fortsetzung folgt…)
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